Anfang der 70er, als Traktoren noch nach Diesel und Freiheit rochen und Männer noch wussten, wie man Dinge mit Händen löst, kam ein Fremder auf den Hof. Zu Fuß. Schlamm bis zu den Knöcheln, Verzweiflung im Blick. „Ich hab mich festgefahren“, sagte er, als wäre das eine Metapher für sein Leben.
Mein Vater, ein Kerl aus Eisen, Schweiß und stiller Logik, zog keine Augenbraue hoch. „Selbstverständlich“, sagte er, als wäre das Retten von Fremden ein Teil der landwirtschaftlichen Betriebsordnung. Er füllte drei Säcke Kartoffeln, warf sie auf die Pritsche, tuckerte los, als hätte er den Plan schon fertig im Kopf.
Draußen auf dem Feldweg stand das Auto, eingesunken wie ein dummer Gedanke im Gehirn der Moderne. Mein Vater sah sich das an, nickte kurz und verlud die Kartoffeln in den Kofferraum. „Jetzt vorsichtig anfahren“, brummte er.
Und siehe da: mit 150 Kilo Kartoffeln auf der Hinterachse rollte der Wagen aus dem Schlammbad wie eine Auferstehung auf vier Rädern. Mein Vater grinste. Nur ein bisschen, dieses „ich hab’s doch gewusst“-Grinsen.
Dann kam der Satz, der alles war:
„Wollen Sie die drei Zentner Kartoffeln nicht gleich kaufen? Weiter vorn gibt’s nämlich noch mehr Schlammlöcher.“
Und das war er, mein Vater. Ein Mann mit mehr Pragmatismus im kleinen Finger als die ganze BWL-Fakultät in den 80ern.
Mit solchen Geschichten könnte ich ein Buch füllen. Vielleicht sollte ich.
Denn er war klug, mein Vater – aber nie bauernschlau. Das Wort hat ihm nie gepasst, zu viel Trick, zu wenig Würde. Er dachte geradeaus. Er sah die Welt, wie sie war. Ein Feld, ein paar Schlammlöcher, und dazwischen genug Platz für einen guten Satz und einen fairen Deal.
Am 27. November hätte er Geburtstag. 96 Jahre. Und ich schwöre: Er hätte heute noch denselben Traktor. Und er würde ihn starten, wenn irgendwo jemand stecken bleibt. Mit drei Säcken Kartoffeln und einem Plan, der besser funktioniert als jedes Motivationsseminar.