Ich, mein Telefon und die Whitelist des Überlebens

Bis vor einem Jahr ging ich immer ans Telefon. Immer. Jede unbekannte Nummer war ein kleines Abenteuer, vielleicht ein Job, vielleicht ein alter Freund, vielleicht die Liebe oder wenigstens jemand, der sich verwählt hatte und mich für einen Moment in ein anderes Leben riss.

Dann kam die neue Zeit: Roboter, die atmen wie Menschen. Callcenter mit Stimmen, die klingen, als hätten sie ein Herz. Und ganz hinten in der Leitung das Rauschen einer Maschine, die sich für mich interessiert, weil ich irgendwo mal auf „Zustimmen“ gedrückt habe.

Ich schwöre, manche dieser Stimmen waren schon halb KI. Ich hab irgendwann aufgelegt, noch bevor sie fertig gedacht hatten.

Heute hab ich ein System, und es ist ziemlich elegant: meine Whitelist. 150 Nummern. Menschen, die durchkommen. Freunde, Familie, ein paar Kunden, der Pizzamann. Alle anderen? Landen automatisch auf dem Anrufbeantworter.
Und weißt du was? Neun von zehn sagen nichts. Gar nichts. Nur einer redet. Der eine, der was zu sagen hat. Den ruf ich zurück.

Die anderen neun? Die verschwinden. Vielleicht haben sie Angst vor dem Band, vielleicht sind sie Bots, vielleicht sind sie nur Geister der alten Kommunikationswelt, gefangen zwischen Werbung und Wahnsinn. Vielleicht sind sie das Echo einer Zeit, in der man noch dachte, Erreichbarkeit wäre ein Zeichen von Leben.

Heute bin ich unerreichbar, und endlich lebendig. Ich bestimme, wer durchkommt. Ich rede nur mit Menschen, die atmen, denken, fühlen. Oder die wenigstens den Mut haben, mir ein paar waagerechte Sätze aufs Band zu sprechen.