SCHMAROTZER? VON WEGEN.
Ich komme aus einem 500-Seelen-Kosmos, irgendwo zwischen Stallgeruch und Schweinebratenhimmel. 1960er, 70er Jahre. Damals gabs Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, und ein paar Männer, die einfach nicht funktionierten im System. Einer soff. Einer konnte keine Chefs ab. Einer wollte einfach nicht um sechs aufstehen, um sich von irgendwem anbrüllen zu lassen.
Und weißt du was? Kein Mensch nannte sie Schmarotzer. Keiner brüllte „Hartz-IV-Schande!“ über den Gartenzaun. Wenn sie in die Wirtschaft kamen, gabs Freibier. Nicht aus Mitleid, sondern weil sie dazugehörten.
„Du, Ludwig, du bist doch eh daheim. Kannst du nicht den Feuerwehrkommandanten machen?“ „Karl, oben am Wanderweg sind die Bänke morsch. Schau mal drüber.“ „Edwin, hilf mir beim Holz aufladen.“
Und das war’s. Kein Formular, keine Maßnahme, kein Amt mit Neonlicht und Nummernschild. Nur Menschen, die wussten: Jeder kann was beitragen. Mal gegen Geld, mal gegen Wurst, oft gegen Bier.
Heute würde man das „Community Integration“ nennen und in einem Förderantrag mit fünf Logos abdrucken. Damals war’s einfach Leben.
Und das war keine Ausbeutung. Es war Respekt. Die Ludwigs, Edwins und Karls hatten keinen Bock auf 9-to-5, aber sie waren da, wenn’s drauf ankam. Sie gehörten dazu. Heute sind die „Abgehängten“ mit Laubbläsern unterwegs. Mit Warnweste, aber ohne Würde.
Je mehr wir über Diversität, Inklusion und emotionale Intelligenz reden, desto weniger Menschlichkeit bleibt übrig. Der neue Sozialstaat ist ein Algorithmus: freundlich im Interface, kalt im Kern.
In meinem alten Dorf war keiner „Coach“, keiner „Social Worker“, keiner „Achtsamkeitsberater“. Aber sie wussten, wann einer Hilfe braucht. Und sie hatten das Rückgrat, es laut zu sagen.
Jetzt? Social Media ist das neue Wirtshaus ohne Wirt. Jeder schreit, keiner hört zu. Kommunikation? Eine endlose Orgie aus Tastaturmoral und Hashtag-Mitgefühl.
„Du, warum geht der Edwin nicht arbeiten?“, hab ich als Kind gefragt.
„Weil er lieber die Vögel pfeifen hört“, sagte mein Vater, der alte Bauer. 10 Stunden am Tag auf dem Acker, erzkonservativ, mit Händen wie Baumrinde. Aber Herz.
Er hätte unter jeden Shitstorm von heute nur einen Satz geschrieben:
„Werd du erstmal trocken hinter den Ohren, bevor du schlecht über andere redest.“
Und das war genug.