Meine Tochter ist Anästhesistin.
Das klingt nach Routine, nach weißem Kittel und Protokoll.
Ist es aber nicht.
Sie hält Menschen in Schwebe. Nicht wach, nicht tot, sondern perfekt dosiert offline.
„Ich sorge dafür, dass alle entspannt bleiben“, sagt sie.
„Der Patient, das Team, und manchmal auch der Operateur.“
Ich hab gelacht.
Sie nicht.
Ihr Arbeitsplatz riecht nach Desinfektionsmittel und Schicksal.
Monitore piepen wie Techno-Beats,
Skalpelle klirren, Latex raschelt, und am Kopfende sitzt sie, ruhig wie ein stiller Taktgeber.
Der Chirurg glaubt, er sei der Held.
Dabei ist er nur das Messer.
Sie ist die Hand, die alles zusammenhält.
Ich nenne sie manchmal die Offline-Göttin.
Sie bringt Menschen um, und holt sie zurück.
Mit einem Fingerschnips, einem Milliliter, einem Atemzug.
Der Patient atmet durch Maschinen,
die Maschinen atmen durch sie.
Zwischen Blutdruck und Sauerstoff tanzt das Leben auf einem Drahtseil.
Ein kleiner Fehler, und alles wird still.
Aber sie bleibt ruhig.
Ruhiger als die Toten.
Sie spricht in Zahlen:
„110 zu 70. Sättigung 98. EtCO₂ 35.“
Das ist ihre Sprache, ihr Mantra, ihr Zen.
Wenn’s stressig wird, verteilt sie keine Worte, sondern Gelassenheit.
Sedativa für den Patienten, Ruhe fürs Team.
Und wenn einer im Saal die Nerven verliert,
bleibt sie der Anker.
Der Mensch am Rand des Sturms.
Ich sehe sie dort sitzen, nicht auf einem Kissen, sondern auf einem Hocker aus Edelstahl.
Statt Räucherstäbchen: Isofluran.
Statt Gebetsketten: Infusionsleitungen.
Statt Sutren: das rhythmische Piepen der Monitore.
Am Ende wacht der Patient auf,
weiß nichts, und alle tun so, als wäre nichts passiert.
Aber sie weiß, was passiert ist.
Sie war da, im Zwischenraum, wo Bewusstsein flackert wie Neonlicht.
Dann sitzt sie draußen.
Mit Kaffee. Immer Kaffee.
Die Hände ruhig, der Blick klar.
Ich nenne das praktiziertes Zen mit Skalpellgeruch.
Sie nennt es Dienstag.